Kind beim schnitzen

Die Vorbereitung auf die Schule findet nicht erst im Kindergartenalter, sondern von Geburt an statt. Denn das Erlernen von Gehen, Sprechen, Denken sowie das Sozialverhalten wird schrittweise vom ersten Lebenstag an erworben. In der Waldorfpädagogik werden alle Kinder in Ihrer Gesamtentwicklung durch den rhythmisch angelegten Tagesablauf mit den verschiedenen Angeboten und Erfahrungsräumen gefördert. Gleichzeitig werden Freiräume für vielfältige Sinnes- und Tasterfahrungen ermöglicht.

Im letzten Jahr vor dem Schuleintritt werden die Kinder bei uns im Waldorfkindergarten die "Königskinder" genannt.
Dieser Begriff soll verdeutlichen, dass die Auseinandersetzung mit der Umgebung der Kinder in diesem Alter mehr und mehr durch das Denken und die Vorstellungskraft geprägt ist. Die Wahrnehmung und das Erleben der Welt mit den  Körpersinnen und durch die Nachahmung wird nun durch zunehmende Abstraktionsfähigkeit, der Fähigkeit, Erlebtes zu erinnern und eine starke gedankliche Vorstellungskraft erweitert. Das Lernen findet nicht mehr hauptsächlich unbewusst über die Nachahmung statt, sondern immer mehr durch bewusste Denkprozesse. So ist es oft der Fall, dass die Königskinder lange Zeit über eine Spielsituation diskutieren und das eigentliche Spiel dabei eher in den Hintergrund gerät. Auch kommen sie morgens mit bereits klaren Vorstellungen und Ideen in den Kindergarten, die an das begonnene Spiel von gestern anknüpfen und dieses weiterentwickeln. So steht der Begriff "Königskinder" symbolisch für die fortschreitende Entwicklung dieser Fähigkeiten im kognitiven Bereich und natürlich auch für die besondere Rolle, die die Großen im letzten Jahr in der Einrichtung einnehmen.
   
Die Königkinder werden durch verschiede Aufgaben und Aktivitäten während des gesamten letzten Kindergartenjahres auf die Schule vorbereitet. Die Aktivitäten stärken nicht nur die kognitiven Fähigkeiten, sondern alle Basiskompetenzen, die für einen schulischen Erfolg benötigt werden. Zu den Aufgaben gehört  zum Beispiel, dass sie mit zwei bis drei  Helfern bestimmte Bereiche (Puppenstube, Kaufladen, Bauecke ...) verantwortlich aufräumen. Sie helfen vermehrt beim Tischdecken, wobei das Zählen des Geschirrs und des Bestecks ein gutes Übungsfeld für das Zahlen- und Mengenverständnis der Kinder bietet. Sie sind auch häufig tatkräftige Helfer beim An-und Ausziehen der jüngeren Kinder, was ihre eigene Selbständigkeit betont und ihr Selbstbewusstsein stärkt. Die Königskinder frühstücken während der letzten Monate alleine an einem Tisch, wobei sie nicht nur lernen, ihre Brötchen zu schmieren, sondern vor allem, das Essen gerecht zu verteilen und sich abzusprechen. Darüber hinaus ist es für die Kinder eine Freude,  zusammen zu essen und sich viel zu erzählen.

Die Königskindergeschichte im Abschlusskreis ist sehr beliebt. Hier können Märchen und Geschichten erzählt werden, die für die jüngeren Kinder nicht geeignet sind und auch von der Länge der Erzählung eine bestimmte Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer voraussetzen bzw. schulen. In der sprachlichen Entwicklung wird darauf geachtet, dass die Kinder Gelegenheiten bekommen, sich verbal sicher zu äußern.
Sie übernehmen zum Beispiel das Fingerspiel, ein Gebet, einen Spruch oder führen ein Puppenspiel auf. Auf die Förderung der Grobmotorik und Geschicklichkeit wird ein besonderer Schwerpunkt im letzten Kindergartenjahr gelegt. Die Kinder lernen verstärkt Stelzen laufen, Seilchen springen, Balancieren und Klettern. Die Feinmotorik, Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer und die Hand-Auge-Koordination wird durch eine handwerkliche Aktivität noch einmal ganz speziell geschult, welche  je nach Gruppenkonstellation und Interessenschwerpunkt gestaltet wird. Die handwerkliche Aktivität kann das Herstellen eines Webrahmens sein, auf dem ein Stoff gewebt und zu einer Tasche verarbeitet wird, oder es wird aus Holz ein Floß, ein Regal oder ein Zwergenhäuschen gebaut.  Wichtig ist, dass die Kinder ihr Projekt so selbständig wie möglich durchführen. Dabei erleben sie ihre individuellen Fähigkeiten genauso wie ihre Schwierigkeiten. Die Erzieher unterstützen die Kinder darin, die Schwierigkeiten zu überwinden. Das stärkt das Selbstbewusstsein und gibt ihnen Sicherheit darin, Dinge zu meistern, die ihnen noch schwer fallen.
Im Frühjahr besuchen die Kinder ein Präventionstraining hier in unseren Haus     „Mut tut Gut“.
Dort lernen die Kinder ihr Selbstwertgefühl zu stärken, Umgang mit Grenzen, Grenzen erkennen, akzeptieren, setzen, Lernen Nein zu sagen, Gefühle unterscheiden können- bin ich gut gelaunt bin ich wütend usw., Verhaltensrepertoire erarbeiten und Handlungskompetenzen  zu entwickeln. 

Zum Ende des Kindergartenjahres findet ein Königskinderausflug statt. Das Ziel und die Aktivitäten werden nach der Gruppenzusammensetzung, den Interessen der Kinder und den vorhanden Möglichkeiten ausgewählt. Vor den Sommerferien feiern wir den Königskinderabschied. Zu diesem Fest ist die ganze Kindergartengemeinschaft eingeladen, um sich mit den Kindern und deren Familien gemeinsam über diesen wichtigen Lebensschritt zu freuen und gleichzeitig Raum für den anstehenden Abschied zu geben.